Bartgeier
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Bartgeier

Der Heimkehrer Bartgeier ist ein Sympathieträger des Nationalparks Stilfserjoch

Der Bartgeier, fälschlich als Lämmergeier verschrien, ist in den Alpen 1930 ausgestorben. Der Mensch hat ihn durch gnadenlose Verfolgung ausgerottet. Historisch hat es in den Alpen vier Geier-Arten gegeben: neben dem Bartgeier noch den Gänsegeier (Gyps fulvus), den Mönchsgeier (Aegypius monachus) und den Schmutzgeier (Neophron percnopterus). Seinen Namen hat der Bartgeier von den steifen Federborsten am Schnabelansatz. Diese reichen über die Schnabellänge hinaus und bilden unter dem Unterschnabel einen kleinen Bart.

1986 hat ein Projekt zur Wiederansiedlung des Bartgeiers in den Alpen begonnen. Auch der Nationalpark Stilfserjoch hat sich mit Freilassungen von Jungvögeln in den Jahren 1990 – 2000 im Marteller Schludertal beteiligt. Die Gründertiere für die Wiederansiedlung stammten aus zoologischen Gärten. 1997, elf Jahre nach den ersten Freilassungen ist die erste Naturbrut erfolgt. Seit Beginn des Wiederansiedlungsprojektes sind insgesamt 223 in den Alpen freigelassen worden und 233 Junggeier aus Naturbruten ausgeflogen.

Knochenfresser und Winterbrüter

Der Bartgeier ernährt sich von Aas und Knochenmark und diese Nahrungsquelle steht im ausklingenden Winter aus Fallwild am reichlichsten zur Verfügung.  Der Bartgeier ist ein Hochgebirgsbewohner, wo er als hervorragender Segelflieger mit seiner Flügelspannweite von bis 2,80 m die Thermik nutzt und in Suchflügen die alpinen Matten überstreicht.  Wenn Steinadler, Kolkrabe, Fuchs u.a. sich an toten Tieren schon bedient haben, schlägt die Stunde des Bartgeiers: Mit seiner aggressiven Magensäure, die im pH-Wert der Salzsäure entspricht, kann er die Kalksubstanz von Skelettknochen auflösen. Aus Röhrenknochen von verunfallten Wild- und Weidetieren erschließt er sich das eiweiß- und fettreiche Knochenmark. Die Eiablage erfolgt im Hochwinter, der Schlupf des Jungvogels im ausklingenden Bergwinter. Bartgeier werden erst im 5.-7. Lebensjahr geschlechtsreif. Einmal verpaart, leben sie in der Regel monogam. Das Weibchen legt zwei Eier im Abstand von 7 Tagen, aber nur das ältere Junge wird aufgezogen. Das Zweitgeborene wird vernachlässigt und vom älteren Bruder auch zu Tode gehackt. Das Zweit-Ei ist eine biologische Reserve. Nach dem biblischen Brudermord von Kain und Abel wird diese Geschwistertötung in der Verhaltensforschung „Kainismus“ genannt.

Rezente Verbreitung

Der Bartgeier hat heute sein Verbreitungsgebiet im eurasischen Raum bis in die innerasiatischen Steppen. In Afrika kommt eine kleinere Unterart in den Atlas-Ländern, in  Äthiopien und in Südafrika vor. In Europa ist der Bartgeier in den Pyrenäen nie ausgestorben und kleine verinselte Populationen gibt es auf Korsika und Kreta. Diese sind wegen der geringen Anzahl der Brutpaare inzuchtgefährdet. 

Eitelkeit in Rot

Adulte Bartgeier haben ockerrotes Bauch- und Brustgefieder. Diese Gefiederfarbe ist nicht angeboren, sondern eingefärbt: Bartgeier baden in eisenoxydhaltigen Quellwassern und verteilen die Schlämme mit dem Schnabel auf Bauch- und Brustgefieder. Im trockenen Zustand wird die lehmige Masse zu Puder und verfärbt die Federn dauerhaft. Es gibt mehrere Hypothesen, warum sich Bartgeier das Gefieder einfärben. Eine plausible Erklärung dafür ist die Körperhygiene: die Schlämme aus eisenoxidhaltiger Erde könnte Haut- und Federparasiten abtöten. 

Morphen und Flugbild

Juvenile Bartgeier unterscheiden sich durch dunklere Färbung und durch das schwarze Gesicht von den adulten Bartgeiern. Männchen und Weibchen sind aber einheitlich gleich gefärbt und im Federkleid nicht voneinander zu unterscheiden. Im Flugbild ist der Bartgeier durch seinen rautenförmigen Schwanz gut anzusprechen und vom Steinadler recht sicher zu unterscheiden.


Satellitentelemetrie und Webcam

In den letzten Jahren wurden die aus Gehege-Zuchten im Rahmen des Wiederansiedlungsprojektes freigelassenen Bartgeier-Jungen mit einem Sender ausgestattet, der am Bürzel am Kiel der Schwanzfedern aufgeklebt wurde und mittels Satellitentelemetrie bis zum ersten Federwechsel alle Flugbewegungen der Bartgeier genau dokumentieren ließ. Die Satellitentelemetrie hat wertvolle Erkenntnisse zur Raumnutzung, zu Territorium und Brutbiologie unter natürlichen Bedingungen geliefert.

Bartgeier sind schlechte Nestbauer und nutzen daher gerne auch unbesetzte Horste des Steinadlers. Steinadler-Paare verteidigen ihr Territorium besonders während der Brutzeit auch an den Außengrenzen ihres Reviers. Mit einer Webcam im Horst der Val Zebrù konnten wir festhalten, dass der nicht benutzte Steinadler-Horst im Jahr 2011 von den Bartgeiern zur erfolgreichen Aufzucht ihres Jungen genutzt wurde. 2013 sind die Steinadler in diesen Horst zurückgekehrt und die Bartgeier mussten weichen.

Aggression von Steinadlern gegen Bartgeier

Die Aggression der sehr territorialen Steinadler gegen die Bartgeier ist unter anderen ein Grund für Verluste von Bartgeiern in den Steinadler-Revieren. Ein weiterer Grund sind Stromschläge an Überlandleitungen und Bleivergiftungen durch Aufnahme von Aufbrüchen aus Wildtieren, welche von Jägern mit Bleimunition erlegt worden sind. Das Schwermetall Blei reichert sich über die Nahrungskette in den Körpern der Bartgeier, aber auch der Steinadler und Uhus als Prädatoren oder der Gänsegeier als Nekrophagen an und führt zu akuten und/oder chronischen Vergiftungen bis zum Tod der Vögel. Wer als Jäger einen Beitrag zum Schutz der Beutegreifer und Nekrophagen unter den Vögeln leisten will, sollte bleifreie Munition verwenden.

Philopatrie

Die Satellitentelemetrie gibt auch Aufschluss über Weitflieger und Dableiber unter den Bartgeiern. Weitflieger unter den Bartgeiern sind auch schon aus den Alpen an die Nordseeküste zur Aufnahme von toten Fischen in der Gezeitenzone des Wattenmeeres geflogen, um dann wieder in die Alpen zurück zu kehren. Es gibt aber auch heimatverbundene Bartgeier. Als Philopatrie bezeichnet man die Heimatverbundenheit zum Freilassungsort. Von 29 genetisch identifizierten Bartgeiern zeigten 22 (gleich 76%) ein philopatrisches Verhalten, indem sie sich als geschlechtsreife Vögel innerhalb 50 km von ihrem Freilassungs- oder Geburtsort ansiedelten. Sieben Vögel (24%) der genetisch identifizierten sind entweder Auswanderer oder Einwanderer. Die Philopatrie könnte aus evolutionärer Sicht vorteilhaft sein, weil sie langfristig eine genetische Anpassung an die Lebensraumbedingungen des Geburtsortes garantiert.

Projektkoordination

Prof. Hans Frey von der Veterinärmedizinischen Universität Wien war und ist mit seiner Zuchtstation Haringsee einer der Väter des Wiederansiedlungsprojektes für den Bartgeier in den Alpen. Jetzt wird das Wiederansiedlungsprojekt von der Stiftung VCF (Vulture Conservation Foundation) mit Sitz in Zürich koordiniert. Im letzten Jahr 2018 haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die freiwilligen Helfer des internationalen Netzwerkes zum Monitoring des Bartgeiers (IBM) 57   Bartgeier-Territorien in den Alpen und auf Korsika überwacht. Der alpenweite Bestand von Bartgeiern wird derzeit auf 280 Vögel geschätzt. Dabei weisen die Zentralalpen die höchste Bartgeier-Dichte auf und bilden neben den französischen Seealpen den wichtigsten Kristallisationskeim für den Erfolg des Wiederansiedlungsprojektes und die Rückkehr und den Fortbestand dieser Tierart im Alpenbogen. Das Projekt zur Wiederansiedlung des Bartgeiers ist international zu einem der erfolgreichsten Monitoring-Projekte geworden und der Bartgeier ein Vogel, über den unsere Kenntnisse gut und dicht geworden sind.

Die Bartgeier im Südtiroler Anteil des Nationalparks Stilfserjoch

Im Vinschgau haben sich zum Stand 2019 vier Bartgeier-Paare angesiedelt, zwei innerhalb der Grenzen des Nationalparks Stilfserjoch und zwei außerhalb. Dabei haben 2018 die Paare Martell und Schnals ihr Junges erfolgreich bis zum Ausfliegen aufgebracht, die Bruten im Trafoital und im Obervinschgau sind 2018 nicht erfolgreich gewesen. Das Marteller Paar hat seit der ersten Brut im Jahr 2015 in vier Jahren viermal erfolgreich gebrütet und gehört damit zu den produktivsten Paaren.

Die Bartgeier-Dichte ist im Vinschgau inzwischen gut und die Wahrscheinlichkeit, dass man hier die Bartgeier im Gleitflug beobachten kann, dementsprechend hoch.

Text: Wolfgang Platter, 18.12.2019

Amt für den Nationalpark Stilfserjoch
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