Der weiße Marmor aus der Jennwand
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Der weiße Marmor aus der Jennwand

Die Genese des Marmors

Der weltweit als Laaser Marmor bekannte schneeweiße Naturstein stammt aus der Jennwand. Die Jennwand bäumt sich mit ihren 2.962 Metern Höhe als Berg an der orographisch rechten Seite des Vinschgaues zwischen Laas und Göflan auf. Sie trägt in ihrem Bauch die Bänke des weißen Marmors. Dieser Marmor ist ein Umwandlungsgestein. Entstehungsort und Ausgangsmaterial des Laaser Marmors ist ein subtropisches Flachwassermeer mit warmen Wassertemperaturen, an dessen Boden sich hunderte Meter mächtige Schichten von Kalkschlamm ablegen. Die Bildung dieser Kalksedimente begann vor 500 Millionen Jahren im Erdzeitalter des Kambriums. Die Sedimente stammen von kalkpanzerbildenden pflanzlichen und tierischen Meeresbewohnern. In unsere Berge kam der Meereskalk durch Intrusion im Zuge der Entstehung der Alpen: Der Urkontinent Pangäa zerbrach und bei der Kontinentalverschiebung schob sich die afrikanische Festlandplatte unter die eurasische Platte. Dabei ist der Meeresboden waagrecht über Hunderte Kilometer nach Norden und senkrecht Hunderte Meter angehoben worden. Das Kalksubstrat war dabei verschiedenen Temperatur- und Druckbedingungen ausgesetzt. Es erfährt massive Umwandlungen. Chemismus und Struktur des Gesteines verändern sich.


Die zwei Metamorphosen

Der Marmor in der Jennwand hat zwei Umwandlungen erfahren: Die variszische Metamorphose ist vor 350 -320 Millionen Jahren im Zeitalter des Karbons abgelaufen. Die zweite, alpidische Metamorphose hat vor 90 – 70 Mio. Jahren in der Kreidezeit bei 500° C Temperatur und 6 -8 kbar Druck stattgefunden. Auf der zehnteilige, logarithmischen Härteskala nach F. Mohs, nach der die Mineralien und Gesteine in ihrem Härtegrad eingeteilt werden, hat der Marmor aus der Jennwand Härte 3,5, Quarz hat Härte 7 und Diamant Härte 10.

Der Bergbau des Marmors
In der Zeit der geschriebenen Geschichte beginnt der Marmorabbau um 1750 zuerst auf der Göflaner Seite der Jennwand als Tagebau mit dem bayrischen Steinmetzen Johann Schmidinger. Im Laaser Tal an der Westflanke der Wand ist Bernhard Schweizer 1829 der Pionier. Er gräbt erste Stollen in den Berg. Die Verwendung des auffälligen weißen Steines ist viel älter als die geschriebene Geschichte. Die bronzezeitlichen Menhire von Latsch und Vetzan sind Beleg. Und auch die Meilensteine an der römischen Via Claudia Augusta waren im Vinschgau teilweise aus dem weißen Stein gehauen.
Die Marmorbrüche von Laas und Göflan wurden bereits lange vor der Ausweisung des Nationalparks Stilfserjoch im Jahre 1935 geschürft. Im derzeit zur Genehmigung behängenden Entwurf zum Nationalparkplan sind die Abbaustätten als Zone für die wirtschaftliche Entwicklung des Gebietes klassifiziert und der Marmorabbau wird weiterhin zulässig sein.
Heute werden mit dem Weißwasserbruch im Mittellauf des Laaser Tales ab der Westflanke der Jennwand und mit dem Göflaner Bruch oberhalb der Göflaner Alm an der Ostflanke des Berges zwei Brüche geschürft. Die zu Tal transportierte Abbaumenge beträgt ca. 2.000 m² Marmor für jeden der zwei Brüche. Die makroskopische Studie der Paduaner Geologen Gregnanin und Brigo über die Mamorlagerstätten in der Jennwand aus den 1980er-Jahren schätzt die Vorkommen auf mehrere Hunderttausend Kubikmeter ein.
In der historischen Betrachtung kann man in der Bergbautechnik drei Phasen und Methoden des Abbauens und Schneiden von Marmor unterscheiden:
• Das Anbringen von Lärchenholzkeilen entlang von Naturrissen des Steines und deren Befeuchten mit Wasser. Das Anschwellen der Keile hat eine Sprengwirkung bewirkt. Diese Methode war mühsam, aber schonend.
• Das Schneiden mit Seilsägen aus verdrilltem Stahldraht. Der Draht transportierte in seiner Rille Quarzsand und die Schneidewirkung entstand, weil das Mineral Quarz wesentlich härter ist als das Calciumkarbonat des Marmors. Diese Technik war jahrzehntelang in Verwendung, in Kombination mit Sprengungen für Abdachungen. Die schlecht kontrollierbare Sprengwirkung zerstörte aber auch wertvollen Marmor.
• Das Schneiden mit diamantbestückten Schwert- und Seilsägen. Diese Technik wird seit den 1980-er Jahren angewendet. Die Sägen erlauben ein schnelles und sauberes Schneiden ohne große Verluste.
Die Verarbeitung des Marmors

Der Marmor aus der Jennwand besteht zu 96-98% aus Calciumcarbonat und ist aus einem sehr reinen Kalksediment entstanden. Seine Reinheit, Widerstandsfähigkeit, Dichte und Härte machen den Marmor zum begehrten Skulpturenstein. Die Verwendung in der Bildhauerei reicht daher weit in die Vergangenheit zurück. In der karolingischen und romanischen Kunstperiode fand der Marmor v.a. im sakralen Bereich Verwendung. Als Juwel vor Ort darf die rekonstruierte Apsis der Laaser Pfarrkirche zum Heiligen Johannes dem Täufer aus dem 11. Jhdt. gelten.
Eine Blütezeit erlebte die Bildhauerei in Laas vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges, als Aufträge aus dem Habsburgischen Kaiserhof umgesetzt wurden, die heute noch die Wiener Ringstraße so am Österreichischen Parlament mit dem Brunnen der großen Ströme und Pallas Athene als Göttin der Weisheit zieren. Denkmäler in der Erinnerung an große Persönlichkeiten in Wien, in der Walhalla bei Regensburg, in Berlin wurden dem wertvollen Weißen anvertraut. Die Grabkreuze für die zehntausenden amerikanischen Kriegsgefallenen des Zweiten Weltkrieges wurden in Laaser Marmor geordert und in Laas gehauen. Neue Belegstücke für die Verwendung des Marmors aus der Jennwand sind der Oculus als Herzstück der U-Bahn-Station im Transportation Hert World Center in New York oder das Marmor-Klavier als Grabstein für Udo Jürgens am Wiener Zentralfriedhof.


Die Fachschule für Steinbearbeitung in Laas

Von 1879 bis 1911 hat es unter der Habsburger Monarchie Österreichs in Laas eine königlich kaiserliche Fachschule für Steinbearbeitung gegeben, an welcher Steinmetzen und Bildhauer mit hohem technischem Können vor Ort ausgebildet worden waren. Auf Betreiben der Gemeindeverwaltung von Laas hat die Südtiroler Landesregierung im Jahr 1983 die neue Fachschule für Steinbearbeitung und damit die alte Tradition der Ausbildung im Steinhandwerk in Laas wieder aufgenommen. Die Fachschule ist angeschlossen an die Landesberufsschule Schlanders und verleiht nach dreijähriger Vollzeitausbildung den Gesellenbrief und befähigt nach weiterer Ausbildung mit Praktikumsnachweis zum Erwerb des Meisterbriefes. Die Fächerkombination besteht je zur Hälfte aus allgemeinbildenden Fächern und sehr praxisbezogener Ausbildung. Die Schule ist offen auch für Absolventinnen und Absolventen aus dem Ausland unter der Voraussetzung, dass sie Deutsch als Unterrichtsprache verstehen.


Text: Wolfgang Platter, 8. Jänner 2020
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